Samstag, 24.06.2023
Der Skulpturenweg Pfinztal ist in vielerlei Hinsicht interaktiv / Über 30 Werke auf 1.000 Metern durch die Natur
Staunen, Nachdenken, Dahinterkommen, Rasten und Verändern. Schlagworte des Söllinger Dichters Wolfgang Müller. Schlagworte, die in Mundart übersetzt eine Holzbank am Wegesrand zieren. Schlagworte, die an diesem Platz bestens aufgehoben sind. Denn zu all dem animiert der Skulpturenweg entlang des romantischen Bocksbaches in Kleinsteinbach. Aber noch zu vielem mehr: zum Spazierengehen, allein oder mit Kindern. Zum Einswerden mit der ständig sich verändernden Natur. Zum Aktivieren aller Sinne. Und zum Krafttanken.
Das Erkennungszeichen der Freiluftgalerie, die Skulptur "Dame mit rotem Schuh" an der Kreuzung Bockstalstraße/Hinter Tal, scheint die Ausflügler wuchtig ins Abenteuer hinein zu kicken. Der beste Einstieg in den rund einen Kilometer langen Stich- samt kleinem Rundweg ist aber bei der Brücke der B3 über den Bocksbach. Vom "Gasthaus Adler" aus baut sich die Strecke mit den über 30 Kunstwerken nationaler, internationaler, renommierter oder weniger bekannter Künstler am sinnvollsten auf.
Der ebenerdige, komfortabel angelegte und zum Schlendern, Plaudern und Innehalten geeignete Weg existiert seit 2001: "Zur Eröffnung des renaturierten Bocksbaches sollte es zusätzlich etwas Besonderes geben", erklärt Monika Lüthje-Lenhart den Ursprung. Sie ist Vorsitzende der Skulpturenweginitiative Pfinztal, kurz SWIP genannt. Der Verein hält den Weg im Fluss, baut ihn aus, belebt ihn und rückt das Flächenkunstwerk ins Bewusstsein der Öffentlichkeit.
Der idyllische Pfad ist in vielerlei Hinsicht interaktiv. Die Werke interagieren mit den Besuchern. Im schlechten Sinne: "Ab und an werden Infotafeln abgeknickt oder Banner beschmiert", so die Vorsitzende. Im guten Sinne: Die Spaziergänger dürfen die Werke betasten, ihnen Klänge entlocken – etwa bei den "Stilisierten Bäumen" aus Schwarzblech von Ulli Heyd. Oder sie dürfen sich auf einer Bodenplatte selber als "Lebende Skulpturen" für Selfies und Co. in Szene setzen. Sie dürfen aber auch nach Antworten suchen: Was sagen mir die vierbrüstige Flussgöttin von Helena Müller, der in luftiger Höhe schwebende blaue Schwimmer im Trockendock von Pavel Miguel oder "Kai" von Birgit Feil, der auf einem Wolkenschiff träumt? Lüthje-Lenhart: "Interessanterweise fühlen sich gerade junge Frauen von diesem Kai aus Acrylgießmasse arrogant gemustert." Ein Chauvinist oder Sexist auf Wolke sieben?
Zudem interagieren die Werke mit den Kräften der Natur: Sie bekommen Risse wie der hölzerne "Bobo" von Manfred Martin. Sie werden weggespült wie beim Unwetter 2021. Sie zerfallen, korrodieren, vermoosen, verflechten, ergrauen, stürzen um, verschwinden wie das geliebte "Goldfischfräulein" von Birgit Rehfeldt oder bilden Muster auf Betonsockeln aus: natürliche Prozesse, gewollte und ungewollte.
Schließlich interagieren die Werke mit den Künstlern selbst: Ihre Schöpfer tauschen sie aus, hübschen sie auf, verkaufen sie oder "überarbeiten sie wie Rotraut Hofmann. Ganz oben an ihrer Steinsteele zum Thema Grenzen hat sie eine Klammer geöffnet, als die Mauer in Berlin fiel", erzählt Harry Stoll, der Mann von Lüthje-Lenhart. Oder Künstler bespielen einen festen Standort entlang des Weges immer wieder neu. Die "Nische"ist so ein Ort: eine bühnenartige Ausstellungsfläche, die das Spektrum der Freiluftgalerie hin zu Malerei, Performance und Installation erweitert.
Infos zum Ausflugstipp
Kurzsteckbrief: Der Skulpturenweg Pfinztal im Ortsteil Kleinsteinbach ist das ganze Jahr über kostenfrei und rund um die Uhr begehbar.
Neben Skulpturen bietet er Poesie am Wegesrand, Fotografien, ein sprechendes altes Trafohaus mit Gesicht, einen Kinderspielplatz am Rokycany-Platz, spezielle Aktionstage (im Winter Nachtwanderung mit Handlampen/Workshops) und an heißen Tagen sogar Schatten. Der Weg kann auch krönender Abschluss einer Wanderung von Durlach über den Thomashof nach Kleinsteinbach oder Teilstück des Pfinztaler Dreihäuserweges (21 Kilometer langer Rundweg, Beschreibung als PDF, 906 KB) sein.
Anfahrt und Einkehr: Mit der S5 bis zum Bahnhof Kleinsteinbach. Mit dem Auto über die B10 von Karlsruhe Richtung Pforzheim oder über die A8-Ausfahrt Karlsbad und dann über die L609 und L563 nach Kleinsteinbach. Parkmöglichkeiten in Bahnhofsnähe und am Bocksbach beim "Gasthaus Adler". Dort und in der Bäckerei Bauer sowie in weiteren Lokalen des Ortes Einkehrmöglichkeiten.
Weitere Informationen: Die Webseite swip-pfinztal.de bietet Hintergründe zu allen Werken und Künstlern, großformatige Bilder, eine Orientierungskarte und die Kontaktadresse für Führungen.
Text und Fotos: Die BNN vom 24.06.2023